Das, was ich gestern zu dem Thema dargestellt habe, findet sich freilich auch schon in der alten Philosophie. Das Böse ist die Abwesenheit des Guten: das böse Materielle ist dem guten Geistigen entgegenzusetzen, weil dem Materiellen das Geistige entzogen wurde. Dunkelheit ist die Abwesenheit von Licht. Wenn die Dunkelheit mit Licht in Berührung kommt, wird es hell. Wenn Materie mit Geist in Berührung kommt, wird sie gut. Wenn das Handeln des Menschen mit Bildung verbunden wird, wird es gut.
Als “böse” kann auch all das bezeichnet werden, was dem Menschen schadet – auch verbunden mit seinem Handeln. handelt der Mensch böse, dann widerfährt ihm Böses. Und das Böse, das ihm widerfährt kann vielfältig sein: Menschen begegnen ihm böse, er wird von Krankheit geplagt. Das ist das alte Weltgesetz, das auch im Neuen Testament formuliert wird: Wer mit dem Schwert tötet, wird vom Schwert getötet werden.
Der Parsismus hat sehr stark das dualistische Denken des Westen geprägt: Es gibt eine gute Macht und es gibt eine gute Macht. Je nachdem stellt sich der Mensch der guten oder bösen Macht zur Verfügung. Beide ringen um die Vorherrschaft in der Welt. Manche Menschen fördern das Gute, manche das Böse. In einem Endkampf wird die böse Macht durch die gute Macht besiegt werden. Die Anhänger der bösen, finsteren Macht kommen in die Finsternis, die Anhänger der guten Macht in das Licht.
Dieser Ansatz wurde vom Judentum und somit auch vom Christentum übernommen, aber: Das Böse ist selten eine wirklich eigenständige Macht. Das Böse als Macht ist immer Gott untergeordnet. Es macht sich selbständig, kann aber nie wirklich als stärker als Gott angesehen werden.
Der reine Dualismus hat es einfacher als dieser gebrochene Dualismus. Denn er kann das, was der Mensch als böse empfindet, aus Gott heraushalten und kann es allein der bösen Macht zuschreiben. Um dieses Problem zu lösen, hat der Glaube erkannt, dass das, was er als böse empfindet, gerechte Strafe Gottes ist oder es ist innerweltlich Folge einer bösen tat des Menschen, mit der der Mensch geprüft wird, gestärkt wird, angespornt wird, sich stärker Gott zuzuwenden und sich der Liebe Gottes anzuvertrauen und aus ihr heraus das Böse zu bekämpfen.
Was wir dann jedoch bei Paulus finden ist, dass der Mensch Böses tut, obwohl er Gutes tun will. Das heißt, der Mensch möchte Gottes Gesetz erfüllen – tut es aber nicht. Es ist quasi eine Macht, die ihn hindert. Es ist die Erfahrung der Gebrochenheit des Menschen. Der Mensch ist nicht immer Herr seiner selbst. Paulus erfährt die Lösung dieser Gebrochenheit des Menschen darin, dass Jesus Christus den Menschen im Glauben zu einem neuen Wesen macht. Dieses neue Wesen wurde dadurch ermöglicht, dass der Mensch von vergangenen Sünden / Gebrochenheiten befreit wurde und nun vom Geist Gottes bestimmt wird. Der von Christus geheilte Mensch handelt im Einklang mit dem Gesetz Gottes – also nicht mehr böse. Und: Wenn dem Menschen etwas Böses geschieht, dann nicht, weil er böse gehandelt hat, sondern weil Menschen Gott angreifen.
(Wir haben hier sozusagen eine Art Vor-Freud: Paulus nennt es nur nicht Es-Ich-ÜberIch. Die Stelle, die bei Freud der verstand einnimmt, nimmt bei Paulus Jesus Christus ein. Denn auch der Verstand des Menschen ist Teil dieser Gebrochenheit und kann den Menschen nicht heilen.)
Und das finden wir schon bei Jesus: Der Nachfolger wird nicht verfolgt, weil er böse handelt, sondern, weil böse Menschen es nicht ertragen, dass Menschen, die Gott gehören, die Gesellschaft verbessern wollen. Christen haben erfahren, dass sie, wenn sie im Sinne Gottes handeln, verfolgt werden. Und warum wurde zum Beispiel auch Jesus hingerichtet, obgleich er nur Gutes getan hat? Das Johannesevangelium bringt an dieser Stelle das Böse, den Teufel, den Satan ins Blickfeld: Diese widergöttliche Macht ist es, die zu verhindern sucht, dass sich Menschen Jesus Christus anschließen. Diese Macht bringt Menschen dazu, sich gegen Gott aufzulehnen, Böses zu tun, Menschen zu missachten, zu verfolgen, zu ermorden – und hält Menschen davon ab, sich dem Guten voll und ganz hinzugeben.
Hinzu kommt, dass in der Antike der Mensch als einer erfahren wurde, der von Dämonen besessen sein konnte. Wir würden heute von psychischen Krankheiten sprechen, das heißt: Menschen haben sich nicht unter Kontrolle. Sie verhalten sich asozial – und bekämpfen auch sich selbst, sie sind von der Gesellschaft nicht zu bändigen. heute sind sie zu bändigen dadurch, dass sie zum Beispiel Psychopharmaka bekommen, aber damals gab es das bekanntlich noch nicht. Diese Erfahrungen, dass Menschen sich nicht selbst gehören und bestimmen können, die in der Dämonenaustreibung Jesu wieder auf Reihe gebracht wurden, wurde dann weiter auf andere übertragen. Das dürfte nicht schwer gewesen sein, denn wenn Menschen in Verfolgungen erfahren, wie bösartig Menschen sein können, dann kann man schon auf den Gedanken kommen, sie sind nicht mehr sie selbst.
Dieser Gedanke hat dann auch wieder positive Bedeutung. Menschen, die böse sind, können auch wieder gut werden, wenn sie vom Bösen befreit wurden. Das heißt: Menschen werden nicht an ihre Bosheit fixiert, sondern Christen eröffnen alle Menschen die Möglichkeit, sich wieder Gott zuwenden zu können bzw. von Gott geheilt zu werden, damit sie sich ihm zuwenden können. Das Musterexemplar ist Paulus, der vom bösartigen Verfolger zu einem großartigen Gottesdiener wurde.
Dieser gute, vom Christentum geförderte Gedanke wird heute immer stärker wieder beiseite gedrängt: Man darf einen anderen Menschen töten, denn er ist böse. Das ist unchristlich.
http://evangelische-religion.de/das-boese.html
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