Wir sind Charlie – ich nicht + Provokationen

Neulich schrieb ich, dass ich etwas zu Provokationen schreiben werde – sorry, ich hatte gestern keine Zeit. Aber jetzt kommt es.

Ich habe schon gesagt, dass ich diesen Spruch (Ich bin Charlie) nur so akzeptieren kann, dass man sich nicht mit den Inhalten solidarisiert, sondern mit der Freiheit der Meinungsäußerung. Diese Freiheit darf nicht mit Gewalt eingeschränkt werden – aber man muss die Meinungen anderer kritisieren und ablehnen dürfen.

Und so kritisiere ich auch einiges von dem, was ich von Charlie Hebdo in den letzten Tagen lesen konnte. Wenn der Stift als Waffe benutzt wird – dann ist das nicht besonders gut. Der Stift darf nicht Menschen töten wollen, darf nicht gewalttätig sein – und man weiß schon zur Genüge, dass auch Worte töten können – ebenso können Zeichnungen töten.

Wir lehren den Menschen, dass sie Respekt voreinander haben müssen, dass sie einander trotz unterschiedlicher Meinungen achten müssen, dass sie die Würde nicht verletzen dürfen.

Und man darf nicht akzeptieren, wenn diese Grundregeln unserer Gesellschaft übertreten werden. Man muss verbal dagegen angehen. Wenn eine Gesellschaft beginnt, dermaßen respektlos über andere herzufallen, wie es von Charlie Hebdo gemacht wurde, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Gesellschaft insgesamt (verbal) gewalttätiger wird, wenn sie in Interessengruppen zerfällt, die einander bekämpfen.

Man achtet einander nicht mehr, nimmt nicht Rücksicht. Lacht Menschen mit anderen Meinungen nur aus – wie es so mancher der modernen Atheisten gemacht hat. Und es ist nicht in Ordnung, wenn sich atheistisch gebärdende Menschen Rücksichtslosigkeit herausnehmen. Wenn das Christentum genauso rücksichtslos gegenüber Atheisten sein würde – würde es ein Hauen und Stechen – allerdings mit Stiften und Worten geben, die Gesellschaft würde stark gespalten. Wir müssen miteinander auskommen, damit wir die Gesellschaft positiv gestalten, wir dürfen und müssen einander kritisieren und können einander auch mit einem Blinzeln auf die Schippe nehmen. Aber wir dürfen, wie gesagt, einander nicht respektlos begegnen.

 

Auch Satire hat ihre Grenze. Und die Grenze legt zunächst einmal jeder in seiner eigenen Verantwortung fest. Das ist unsere Freiheit. Wenn jedoch andere in der Gesellschaft merken, dass hier Menschen verantwortungslos mit dieser unserer Freiheit umgehen, dann muss das zur Sprache gebracht werden.

Und so finde ich es verantwortungslos, wie manche Bilder gemacht werden. Wo ist die Grenze? Die Grenze ist nicht fest. Wie gesagt: Jeder Einzelne legt in seiner Verantwortung diese Grenze fest. Und die Individuen einer Gesellschaft müssen aus Verantwortung heraus miteinander immer wieder die Grenze austarieren.

Dass eine Mohammedzeichnung für uns keine Grenze darstellt, ist klar, weil Mohammed ein normaler Mensch war – wenn er auch als besonderer Prophet angesehen wird. Das heißt: Unsere Kultur hat andere Vorstellungen als einzelne Muslime. Und sie müssen nun in den Diskurs eintreten.

Was die Zeichnungen über unseren christlichen Gott betrifft: Er – bzw. der Glaube an ihn – wird in Charlie Hebdo auch erniedrigt. Deutlich wird aber, zumindest in dem, was ich gesehen habe, dass mit Gott gleichzeitig auch der Mensch erniedrigt wird. Darauf möchte ich hinweisen – und hätte große Lust, daraufhin mal ein paar dieser Zeitungen durchzuschauen. Habe aber leider keine Zeit dazu. Vielleicht ist das eine Anregung für andere, die mehr Zeit haben.

Aber was ich nicht möchte, ist, dass nun auch bei uns ein Wettstreit beginnt darüber: Wer malt den abgeschmacktesten Mohammed oder wer provoziert Muslime am Hinreißesten. Das ist in solchen aufgeregten Zeiten wie in der Gegenwart nicht mutig, sondern dumm. Wir müssen intelligent provozieren – aber nicht geschmacklos. Intelligent provozieren, damit die Gesellschaft weiterkommt. Provokationen bringen die Gesellschaft weiter voran, wenn sie denn klug sind.

Gleichzeitig darf man sich aber nicht einschüchtern lassen – ich habe schon viele in meinem Blog kritisiert, die vor Muslimen wegen etwas in die Knie gegangen sind, was in unserer Kultur ganz normal ist. Aus eigenem Verantwortungsbewusstsein auch provozieren – um unsere Gesellschaft voran zu bringen, das darf nicht eingeschränkt werden – auch nicht durch Selbstzensur. Manchmal treibt einen die Verantwortung dazu, verkrustete inhumane Gesellschaften aus der Reserve zu locken, um sie in Bewegung zu bringen. Darum liebe ich auch Heine so. Manchmal ist das im wahrsten Sinn Not-wendig.

Durch die Ermordung der Zeichner durch die Terroristen wurden ihre Zeichnungen erst zu dem, wozu sie gedacht waren: zu einem Europa aufrüttelnden Ereignis. Das ist alles schon sehr eigenartig, wie Weltgeschichte abläuft. Es gab so viele Ereignisse, die im Vorfeld hätten aufrütteln können – aber gerade diejenigen, die sich jetzt besonders laut solidarisieren, haben vorher besonders laut aufgeschrien, wenn Menschen es wagten den Islam kritisch herauszufordern. Hätten sie vorher einen Zaun um Charlie Hebdo gebildet, indem sie mutig ihre kritischen Stimmen erhoben hätten, wäre der Terrorakt dann auch geschehen?  Ich weiß, es ist müßig das zu fragen. Nur hoffe ich, dass verantwortungsvolle Islamkritik auf breiter Ebene nicht verstummt und zum Schweigen gebracht wird, damit einzelne Kritiker nicht so sehr im Fokus der Terroristen stehen. Wenn eine breite gesellschaftliche Basis der Meinungsfreiheit da ist, dann haben einzelne Feinde der Meinungsfreiheit einen schwereren Stand.

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In der Türkei kämpfen unterschiedliche „Kulturen“ gegeneinander – noch (wieder) hat die islamischere Version die Oberhand, von daher reagieren sie anders auf diese Provokationen: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/tuerkei-ermittlungen-gegen-zeitung-wegen-mohammed-karikatur-a-1013206.html

Und der Papst trägt herzhafte südamerikanische Mentalität in diese Diskussion: http://www.spiegel.de/panorama/papst-franziskus-pontifex-wuerde-sich-fuer-ehre-seiner-mutter-pruegeln-a-1013191.html

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