Koran-Hermeneutik 7

Im Radio (HR Info) habe ich heute in einem Interview mit Marwan Abou-Taam gehört, dass muslimische Gemeinden zurzeit überfordert sind. Sie sehen sich mit Anklagen konfrontiert, können aber nicht adäquat reagieren. Hier kann man das Interview hören: http://www.hr-online.de/website/radio/hr-info/index.jsp

Das ist klar. Hat man doch bislang auch den Islam als Ideologie, als politische Religion immer weiter vorangetrieben, bislang ungehindert – warum sollte man dann weiter über andere Themen nachdenken? Wir werden die Gesellschaft durch Geburten besiegen, wir werden die Mehrheit bekommen, der Islam dominiert alles usw. usw. usw. Und wenn jemand dagegen argumentierte oder agitierte – die mediale und politische Öffentlichkeit bildete einen Schutzschild um diese Einstellung herum, warum sollte man nun seine Religion kritisch unter die Lupe nehmen? Es lief doch alles gut? Man konnte sich von allen islamischen Staaten und terroristischen Umtrieben mit einem Achselzucken abwenden: Ist doch nicht unser Land, und die Verteidiger waren es zufrieden.

Und nun wird es auf einmal ungemütlich, weil ein Teil der Gesellschaft aufwacht – allerdings wieder in Tiefschlaf versinken wird, keine Angst – aber das dürfte endlich die Chance sein, über neue Wege des Islam in der westlichen Gesellschaft auf breiterer Ebene nachzudenken, nicht nur auf der Ebene von Experten und ein paar Mutigen. In den Gemeinden geht es nun darum, theologisch (! – so das Interview) nachzudenken, kritisch zu reflektieren – und dazu sind die meisten nicht in der Lage (so das oben genante Interview). Wenn es bislang bedrohlich war, eine eigene Meinung zu haben – wie soll man auf einmal in der Lage sein, rational die Sache in den Blick zu bekommen? Man soll Diskussionsrunden einrichten in den Gemeinden – aber was bringt das, wenn alle nur die gleiche Scheuklappenmentalität haben, weil eben kritisches Nachdenken nicht eingeübt wurde, wenn nicht genügend freie Denker vorhanden sind?

Das braucht alles seine Zeit – lange Zeit. Und ich befürchte, wenn der ISIS-Druck nachlässt, dass dann auch diese guten Ansätze wieder schnell verschwinden, weil es eben schöner ist, sich als die kommenden Herrscher zu fühlen, seine Religion als die dominierende Religion anzusehen, den Islam zu politisieren und zu ideologisieren, statt neue Wege zu suchen, die auch schwer und beschwerlich sind und zu harten Auseinandersetzungen führen können. Es wird wieder so sein, dass die gesellschaftlichen Schutzschilde den Islam in unserem Land isolieren, damit er sich ja nicht in Frage stellen muss, ja nicht in unserer aufgeklärten Gesellschaft ankommen kann.

Und das ist das Grundproblem: Wenn die islamischen Gruppen vor Diskussion und Argumentation geschützt werden – wie sollen sie dann lernen, sich in der freien Gesellschaft zu integrieren? Wer nicht gelernt hat zu argumentieren, eine Gruppe unter anderen zu sein – von dem kann man nicht erwarten, dass er argumentiert und sich als Gruppe unter anderen ansieht.

Und das ist nicht allein Schuld der Moscheegemeinden – es ist die Schuld derer, die den Islam immer sofort in Watte einpacken, damit er ja nicht herausgefordert wird. Er muss herausgefordert werden zum Nachdenken, sonst wird er in dem archaischen System verankert bleiben und es wird dann immer wieder starke Gruppen geben, die diese archaische Grundordnung gewalttätig durchzusetzen versuchen. Jede Gruppe hat ihre zu Gewalt neigenden Ränder. Aber die Menge derer, die im Islam dazu neigt, die kann nur verringert werden, wenn der Islam beginnt, über sich selbst zu diskutieren. Es ist mein Wunsch, dass unsere Gesellschaft eine solche kritische Diskussion nicht wieder verhindert, sondern wie es ihre Art ist, auch den Islam dazu herausfordert.

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