Es gab viele Tiefpunkte im Zuge des Islam von Anfang an. Zu nennen sind die Eroberungszüge Mohammeds wie seiner Nachfolger – auch wenn sie, wie gestern gesagt, gerne als Verteidigungskriege angesehen werden. Viele dieser islamisierten Gruppen haben dann gewaltsam versucht, den Islam voranzutreiben, nicht zuletzt die Osmanen. So können die Armenier nicht nur zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Klage anstimmen. Luther sah den Islam als eine der Gottesgeißeln für die verschlafene Christenheit an – was darauf schließen lässt, dass islamische Herrscher selbst für das robustere Mittelalter nicht gerade als menschenfreundlich angesehen wurde. Vorher waren die Menschen an den Küsten und den Flüssen Südeuropas und Mittelafrikas sicher nicht begeistert über die sie bedrohenden Sklavenjagden. Die Menschen von Byzanz über Südosteuropa bis hin zu Wien waren überwiegend recht glücklich, als die islamischen Heere wieder abzogen. Freilich gab es – so habe ich gelesen – auch zurzeit der Reformation Menschen, die den Islam begrüßten, weil sie hofften, er würde sie von den harten Herren befreien. Aber die Befreiten in anderen Ländern dürften das Glück nur kurz genossen haben.
Ähnliches (!) gab es im Christentum nur in Amerika. Die Kreuzzüge sind eher vergleichbar mit dem, was man im Nordirak heute andenkt: Statt Waffen hat man freilich Truppen geschickt, um Byzanz vor dem Islam – der damals noch von den weniger feinfühlenden Vorfahren mit Islamisten gleichgesetzt wurde – zu schützen. Viele Kreuzzüge gab es auch in Europa. Es waren darunter auch Kämpfe zwischen einzelnen christlichen Nationen oder Expansionspolitik in den Osten.
Der Sklavenhandel hatte nichts mit dem Christentum zu tun: Es waren Menschen, die sich als Christen angesehen haben, aber es ging um moderne Wirtschaft, wie es zu allen Zeiten vorher eben auch Sklaven gab, von Griechenland bis Rom, in Asien und unter dem Islam. Dass auch Christen versuchten den Sklavenhandel biblisch zu begründen, das ist ein Übel, das nicht geleugnet werden kann, wie das große Übel des Rassismus, der ja – so habe ich einmal irgendwo gelesen – in einzelnen Gruppen noch immer biblisch begründet werden soll. Aber beides, Sklavenhandel und Rassismus wurden offiziell schon sehr früh bekämpft.
Der Kolonialismus Englands hat auch andere Gründe – es ging nicht um Christentum. Dass freilich im Zuge der Kolonialisierung das Christentum folgte, steht außer Frage. Ob, wie beim Islam, es auch Menschen gab, die den Kolonialismus vorantrieben, um das Christentum stärker zu verbreiten, kann ich mir vorstellen, weiß aber nichts darüber. Freilich ging es im Kolonialismus in erster Linie um nationale Interessen, nicht um religiöse.
Die Hexenverfolgungen (die es weltweit gab und noch gibt) waren eine eigenartige Mischung aus gesellschaftspolitischen Ängsten (kleine Eiszeiten, Hungersnöte, Kriege, Epidemien), Aberglauben, lokale Machtpolitik zu Beginn der Moderne, in der man sich von der Kirche zu lösen versuchte. Es ging nicht um Verbreitung des christlichen Glaubens. Dass es ein Tiefpunkt europäischer Kultur ist, Rückfall in die Barbarei, der auch christlich sozialisierte Menschen nichts entgegengesetzt haben, im Gegenteil: mitgemacht haben, das ist deutlich. Das betrifft auch die Ideologien der Neuzeit: Kommunismus und Nationalsozialismus.
Diese barbarisch vorgehenden Ideologien sind im christlich geprägten Kulturkreis groß geworden und wurden von Menschen ausgeübt, die christlich sozialisiert waren, aber vielfach das Christentum bekämpft haben. Auch hier ging es nicht um die Verbreitung des Christentums, natürlich auch nicht in der Französischen Revolution – aber es waren christlich sozialisierte Menschen, die hier barbarisch vorgegangen sind. Freilich ist die Kollaboration mit den Finsternissen der Sonnenkönige und -kaiser den Kirchen anzulasten, denn im Fahrwasser der Macht hat man das Volk christlich sozialisieren wollen – auch gegen das Volk. Als eine Art Vorläufer der modernen Ideologien sehe ich die Inquisition an: Sie war der Versuch, Christen gewaltsam auf Linie mit der katholischen Elitemeinung zu bringen.
Die Verknüpfung von Eroberungen mit der Religion ist soweit ich sehe bis auf den genannten Fall oben eine Frage des Islam. Was die Portugiesen und Spanier betrifft,vor allem die Letztgenannten, muss man eben bedenken, dass sie durch die Herrschaft des Islam auf der iberischen Halbinsel in engem Kontakt mit der Ideologie des Islamismus stand und von daher in der Eroberung Amerikas und was die Inquisition betrifft auch durch ihn infiziert sein konnte.
Jede Zeit hat ihre Sünden. Auch wir sind heute nicht davor gefeit, Situationen falsch einzuschätzen, oder strukturellen Sünden Raum zu lassen (als größtes Problem würde ich das Unrecht im Rahmen der Weltwirtschaft sehen). Christen haben die Aufgabe, sich von den Fehlern der Vergangenheit zu lösen und neue Wege zu gehen. Und so sehe ich das heute, dass es ein großer Fortschritt ist, den christlichen Glauben nicht mehr europäisiert zu forcieren, sondern dass jedes Volk, jede Kultur den Glauben in seiner eigenen Weise prägen kann – in dem vom Neuen Testament gesetzten Rahmen. Es ist ein großer Fortschritt, dass die biblisch geprägten Menschenrechte von den Kirchen des Westens angenommen wurden, wenn zum Teil auch noch im Widerstreit. Christlicher Glaube war von Anfang an eine Religion, die durch Bildung, Rede, mitmenschliche Tat, Einsatzbereitschaft Menschen überzeugte, ganz wie das Neue Testament es vorgab. Von dieser Linie wichen zu jeder Zeit Gruppen, Herrscher, Individuen, gesellschaftspolitische Strukturen ab. Sie müssen sich an neutestamentlichen Vorgaben messen lassen.
Auch der Islamismus muss sich am Koran und an Ahadith messen lassen – und das macht sie Sache so schwierig, weil sie nicht eindeutig sind und die brutalen Islamisten sich eben auch mit gutem Recht auf diese berufen können wie moderate Muslime. Der Islam muss eine neue Hermeneutik finden, die sich weltweit durchsetzt. Allen, die daran arbeiten, sei gedankt.
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