Zu Sloterdijk + Metazentrum

Zu http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article131177361/Die-Moderne-ist-nicht-nur-ein-Verhaengnis.html

Der Artikel preist die Moderne, weil das Bildungsniveau, das Rentenniveau, Lebenserwartung und Lebensstandard so gestiegen seien. Ebenso werden Gleichstellung und kulturelle Vielfalt hervorgehoben, sowie die „Einhegung willkürlicher Gewalt“… Die Politik als Steuerungsinstanz ist zu etablieren – das wird z.B. mit Blick auf die Wirtschaft gesagt. Der Artikel ist insofern richtig als er sagt, dass die Krisen der Moderne mit Demokratie und Wissenschaft bewältigt werden müssen.

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Dieser Artikel regte zum Nachdenken an. Die Moderne ist nicht nur ein Verhängnis. Die Moderne ist ein Konglomerat aus Altem und Neuem. Jede Zeit ist ein Konglomerat aus Altem und Neuem. Vor allem freilich in unserer Zeit sehr beschleunigt. Jede Gesellschaft versucht neue Wege zu gehen, auch wenn diese neuen Wege als alte Wege deklariert werden. Es sind immer neue Wege – und die Nachteile der Neuerungen bekommt eine Gesellschaft mehr oder weniger schnell mit. Manche Neuerung entpuppt sich schnell als Irrweg – so die Genderfrage – manche entpuppen sich schnell als Irrwege, aber die Meinungsmacher einer Gesellschaft hängen daran, bis sie von einer nachfolgenden Generation eines Besseren belehrt wird – so die Abtreibungsfrage.

Ich für meinen Teil sehe, dass dem Irrweg: Nur das Kollektiv zählt (Nationalsozialismus, Kommunismus) – nun der Irrweg folgt – also das Gegenpendel ausschlägt: Nur das Individuum zählt (von daher halte ich die nationalsozialistischen und kommunistischen Gruppen einfach nur noch für Reste einer Kollektiv-Ideologie – auch das Kollektiv der Linken im Kampf gegen Rechts). Das Ideal wäre, wie es ja auch im christlichen Glauben im jesuanischen Sinne gelehrt wird: Das Individuum ist äußerst wichtig – aber es ist Teil einer Gemeinschaft und hat eben als Individuum auch Teil dieser Gemeinschaft zu sein und zu deren Wohl beizutragen.

Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, jede Zeit muss darauf reagieren – und wenn die Politik versagt, dann wird eine Gesellschaft brutal chaotisch, bis sich irgendwann wieder das Pendel ein wenig einpendelt, bevor es wieder langsam auszuschlagen beginnt.

Das Problem, vor dem wir heute im Westen stehen ist eben auch, dass die Steuerungsinstanz Politik nur dann als akzeptabel angesehen wird, wenn sie das macht, was einem lauten Teil der individualisierten Gesellschaft passt. Und wenn sich genügend Individuen zu einem bestimmten Thema zusammengetan haben und laut losschreien, dann wird die Politik entsprechend handeln. Diese Individuen müssen bei anderen Themen nicht miteinander übereinstimmen und suchen sich entsprechend wechselnde Mehrheiten. Und je emotionaler alles bestimmt ist, desto mehr Gewicht bekommen die  Akteure. Nicht der Verstand, die Analytik, das systematische Erarbeiten der Zukunft ist mehr im Blick, sondern das schnelle emotionale Reagieren auf irgendwelche Situationen mit den am lautesten schreienden Gruppen. Das sehe ich kommen. Ganz soweit sind wir noch nicht.

Das Metazentrum der normalen Gesellschaft ist träge. Die laut Rufenden mögen die Politik auf ihre Seite bekommen – die stille, ihren Alltag bewältigende vernünftige Gesellschaft kann viel dazu beitragen, dass all die Aufgeregtheiten, die das Schiff zum Kentern bringen wollen, es nicht schaffen, es umzuwerfen, sondern seine Fahrt in stürmischer See fortsetzen kann. Die Schreienden drängen natürlich darauf, dass das Metazentrum auf ihre Kapitänsbrücke gelegt wird. Und wenn das vollkommen gelingt, dann ist das Chaos in einer Gesellschaft ausgebrochen.

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