Ich fragte ihn: Was hattet ihr in der Schule zum Thema Widerstand gegen Hitler? Er sagte: Schindler. Das war es dann auch. Mehr wusste er nicht. (Schindler, man hatte ihn nach 1945 zum Teil vergessen. Hat ihn übersehen, überhört – bis der Film gezeigt wurde. Und auch seine Frau Emilie, die mutig die vielen notwendigen alltäglichen Arbeiten zur Rettung der dem gewaltsamen Tod Entronnenen getan hat, wurde übersehen – auch im Film.)
- Nichts hörte er von der Weißen Rose.
- Nichts von den Menschen des Attentats am 20. Juli 1944: Berliner Widerstandsgruppe um Henning von Tresckow und anderen – z.B. auch Stauffenberg, Carl Friedrich Goerdeler.
- Nichts von der Abwehr, z.B. Canaris-Oster-Dohnanyi-Bonhoeffer…
- Nichts vom Kreisauer Kreis – vor allem Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg.
- Nichts von der Jordans-Halem-Gruppe.
- Nichts von den Kreisen der Roten Kapelle – vor allem Schulze-Boysen und Arvid Harnack.
- Nichts von der Etter-Rose-Hampel-Gruppe in Hamburg.
- Nichts von der kommunistisch geprägten Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe in Hamburg. bzw. Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation.
- Nichts von Georg Elser, der allein handelte, der sich nur Gott im Gebet anvertraut hat.
- Nichts von Berthold Beitz.
*
Wenn man bedenkt, dass der Umgang mit dem Widerstand erkennen lässt, wie die Gesellschaft jeweils tickt, was lässt dieser Umgang erkennen, wenn man nur Schindler behandelt? Das ist keine rhetorische Frage – eine echte. Ist das ein Bild, das verallgemeinert werden darf?
*
Was die Kritik an Menschen betrifft, die Widerstand üben:
a) Man muss sie alle in Ehren halten, welches Motiv sie auch immer hatten, wie sie auch immer als Menschen waren.
b) Kritik wird dann geäußert, wenn es darum geht, Menschen der Gegenwart etwas zu sagen: Der war nicht gut, weil er das und das dachte – schlechtes Vorbild, wehe, du denkst auch so! Er war zwar gegen die Menschenverächter – aber aus übler Gesinnung. Also vergessen wir ihn lieber und machen einen Buhmann aus ihm, ein abschreckendes Beispiel.
c) Ist das der richtige Umgang mit Menschen, die ihr Leben riskierten, um einen Massenmörder und seine Clique auszuschalten?
d) Dann gibt es freilich wie immer all die Besserwisser: Sie hätten alles besser gemacht. Besserwisser, die weder die Zeit berücksichtigen, noch die Realitäten des jeweiligen Alltags und der eingeschränkten Möglichkeiten, die sich einfach nur in gefahrloser Zeit mächtig aufplustern – ich denke, die kann man links liegen lassen. Sie vergessen zudem, dass der Nationalsozialismus zunächst für viele Menschen als menschliche, als Gemeinschaft fördernde Ideologie wahrgenommen wurde (National-Sozialismus). Der Nationalsozialismus trat ja zunächst nicht als eine für alle sichtbare dämonische Macht – oder wie soll man das sagen – auf. Mir stellt er sich als eine Art Chamäleon dar, anpassungsfähig, bis er dann zuschnappte – weil er sich im Volk sicher verankert wähnte. Wenige haben ihn von Anfang an als gefährlich erkannt.
e) Wie auch immer all diese Menschen waren – sie waren Menschen. Menschen mit ihren Stärken und Schwächen. Die Kritiker sind auch Menschen. Vielleicht hilft es ihnen ein wenig, das einzusehen, damit sie diese mutigen Menschen in ihrem Handeln achten können.
f) Nur eine Frage: Gab es eigentlich im faschistoiden Japan der damaligen Zeit auch Widerstand? Bekannt ist mir nur, dass in diesem Zusammenhang Toyohiko Kagawa festgenommen wurde und eine Anti-Kriegs-Liga gegründet hat.
*
Wenn wir den Widerstand ein wenig überblicken, dann können wir folgendes sehen:
Frauen und Männer aller Jahrgänge, Arbeiter aus Fabriken, Handwerker, Selbständige, Unternehmer, Beamte, Professoren, Schriftsteller, Maler, Bürger, Adlige, Militär, Zivilisten, Kommunisten, Sozialisten, National gesinnte, Christen, welcher Couleur auch immer, Lebemänner, Einzelgänger und als Gruppe Engagierte waren aktiv. Menschen, die von vornherein erkannten, mit wem sie es zu tun bekommen, Menschen, die erst mitgelaufen sind, dann eine Kehrtwende gemacht haben, Menschen, die im System blieben, aber menschlich waren (zählen für mich allerdings nicht zum Widerstand im engeren Sinn), Menschen, die nur gegen waren, und Menschen, die versuchten, dem Nationalsozialismus etwas Positives entgegen zu setzen…
Das soll nicht heißen, dass viele gegen den Nationalsozialismus waren bzw. auch aktiv waren. Es waren zu wenig. Auch Intellektuelle waren weitgehend abwesend. Sie sind anfällig für totalitäre Systeme (linke wie rechte Systeme, Kommunismus, Faschismus…) wie andere auch. Aber diese Aufzählung soll zeigen, dass Menschlichkeit nicht auf eine Gruppe beschränkt war. Das ist es, was wir heute fördern müssen, wo auch immer wir in der Gesellschaft stehen: Menschlichkeit, Kultur des Lebens fördern, wir müssen darum ringen und auch streiten, was das letztlich real bedeutet – und das in aller Freiheit! Das kann man auch heute noch am vielfältigen Widerstand zeigen. Um wieder auf die Schule zurückzukommen.