Ein paar Fragen. Aus christlicher Sicht nicht ganz korrekt – interessiert mich als normaler, wacher Bürger:
A
Religionen gibt es wohl, seit man den Menschen irgendwie beobachten kann. Man schließt daraus, dass sich Religion durchgesetzt hat, weil es dem Menschen evolutionäre Vorteile bot: Er konnte sich besser in der Welt verorten, wurde psychisch stabiler und bekam soziale Hilfen – Gemeinschaft stabilisierend… Religionen wandelten sich mit der Menschheit, mit den Bedürfnissen der Menschheit: Religionen passten sich der Weiterentwicklung an – Menschen passten sich den Religionen an. Nun kommt innerhalb kurzer Zeit – menschheitsgeschichtlich gesehen – eine kleine Gruppe und sagt: Man benötige keine Religionen mehr, weil der Mensch nur noch seinen Verstand gebrauchen solle. Was das bedeutet, wird dann zeitgemäß definiert. Damit zusammen hängt der Versuch, den „Feind“ verbal zu destruieren: Religionen seien schlecht, würden nur schaden, würden zu Kriegen führen, sind Zeitverschwendung… – bei alten Atheisten (denen des 20. Jahrhunderts – nicht den großen des 19. Jahrhunderts) ist der Spott, den sie über Religionen ausgießen, groß. Man könnte ja auch einfach nur sagen, wie man seit einigen Jahrhunderten sagt: Religion hört sowieso bald auf. Und dann wie Jona gemütlich unter dem Baum warten, bis sie sich aufgelöst haben.
Aber: Der Mensch ist im Grunde der gleiche geblieben. Er ist aggressiv – und demütig, er liebt und hasst, er strebt nach Macht und Unterwerfung, er leidet und erlebt Glück… Woher nehmen die Atheisten, die ich soeben geschildert habe, die Zuversicht, dass ihre Forderungen überhaupt einen Schimmer realistischen Denkens an sich haben? Die wissenschaftlichen und technischen Erfolge können es nicht sein, die sie von der religiösen Tradition zu lösen versuchen, denn der Mensch ist mehr als Technik und Wissenschaft. Ist dieser atheistische Versuch der Moderne einfach nur ein großes Experiment: Folgen offen?
B
Die frommen Atheisten sind schon weiter: Der Mensch hat (mit Feuerbach und Marx) Religion erschaffen. Religionen haben gute und schlechte Seiten. Also der Mensch schafft die guten und schlechten Seiten der Religionen. Deren Forderung: der Mensch müsse die guten Aspekte der Religionen übernehmen, ohne allerdings selbst religiös zu werden. Zum Beispiel Gebet gerichtet an eine nicht existente höhere Macht stabilisiert die Psyche, pseudoreligiöse – auch liturgische Zusammenkünfte fördern das Zusammenleben… Diese haben aus meiner Sicht mehr Realismus als diejenigen, die Religion vollkommen ablehnen, weil sie Wissenschaft und Technik mit den sozialen Realitäten verbinden. (Zum Beispiel auch die alten Freireligiösen – die sich zwar immer wieder zerstritten und gespalten haben – und auch nie so wirklich die Herzen und Köpfe der Menschen erobern konnten.)
C
Die nächste Frage in diesem Zusammenhang: Religiöse Menschen haben mehr Kinder. Zumindest ist das der Stand meines Wissens. (Ich lasse mich gerne von neueren Untersuchungen, wenn es die denn gibt, vom Gegenteil überzeugen.) Werden allein von daher nicht schon immer die religiösen Menschen die nicht religiösen Menschen dominieren? Was die Kinder betrifft: Das heißt: Deutsche haben zum Beispiel weniger Kinder, weil sie weniger religiös sind. Sie nehmen ab. Aber damit das Land nicht bevölkerungsmäßig ausstirbt, müssen Menschen aus religiösen Gemeinschaften aufgenommen werden. Wer wird auf längere Sicht dominieren? Oder will man in Zukunft immer fragen: Religiös – Nichtreligiös? Und die Nichtreligiösen werden ins Land gelassen? Nur ein Tipp für die Gesellschaftsplaner.
D
Soweit ich vernommen habe, zeigen Untersuchungen, dass Kinder eher religiös denken als nichtreligiös. Kurz gesagt: animistisch – nicht christlich. Man muss also aus dem Menschen eher die Religion austreiben als sie in die Menschen hineintreiben. Darum soll Bildung verwendet werden, dass man dem Menschen sagt: Was du denkst und fühlst ist falsch – Religiöses ist Unsinn. Und so ist man ja auch stolz darauf, dass manche gebildete Menschen eben nicht religiös sind. Wenn dann doch welche religiös sind, sind sie so eine Art Unfall – die Bildung hat nicht so ganz geklappt oder die Psyche… Wie dem auch sei: Je gebildeter Menschen sind, desto areligiöser werden sie, so die Hoffnung. Wird an dieser Stelle dann Bildung nicht ideologisch verwendet? Zumal das ja auch so nicht stimmt – womit wir beim nächsten Punkt sind.
E
Nur am Rande: der Mensch denkt sich irgendwas aus, das für ihn richtig ist. Und dann meint er, das müsse nun auf alle Menschen übertragen werden. Das ist für mich der Beginn der Ideologie. Und so denken sich ein paar Menschen aus, dass der Mensch areligiös zu sein hat. Damit das aber durchgesetzt werden soll, muss man möglichst früh die Kinder den Religiösen bzw. allen wegnehmen, weil ja jeder traditionell orientierte Mensch [ideologisch unsicher] in Gefahr geraten kann, die Kinder nicht so erziehen zu können, wie es die ideologische Elite gerne hätte. Von daher sind Kinder das beliebte Ziel – das sah man am Nationalsozialismus wie am Kommunismus – ich denke an Dawkins. Dass auch Religionen ideologisch agieren können, ist klar. Aber inzwischen sind sie in unseren Gesellschaften so sehr differenziert, dass diese Gefahr kaum mehr – zumindest zurzeit – bestehen dürfte.
F
Der nächste Punkt: Es ist ja in unserem Land nicht so, dass Menschen, die sich von den christlichen Konfessionen abwenden, sich dem Atheismus zukehren, sondern Individual-Religionen – das heißt: esoterischen Welterklärungen. In diesen finden sie dann die Stabilisierung, die sonst die Religionen gegeben haben. Zeigt unsere Gesellschaft nicht, dass die Abwendung von den christlichen Konfessionen nicht dazu führt, dass man nicht atheistisch denkt, sondern dass man esoterisch denkt – also nach esoterischer Eigendefinition kurz gesagt: Verstand und Kosmos usw. in Übereinstimmung bringt? Zeigt das nicht wiederum, dass diese esoterischen Pseudo-Religionen wie die Versuche der frommen Atheisten den Menschen gerechter werden als die der Ratio-Atheisten? Womit wir wieder bei der ersten Frage wären.
G
Christen haben eine lange Geschichte. Und da gibt es nichts zu beschönigen – aber man muss sich auch nicht verstecken. Salopp gesagt: Auch Christen sind Menschen. Die Diskussion wird uns noch begleiten. Aber auch Atheisten haben sich in der kurzen Geschichte nicht besonders menschenfreundlich eingeführt. Es sei denn, man weist die „bösen“ Atheisten den Christen zu, weil diese im christlichen Kulturraum aufgewachsen sind, und das Christentum seine bösen Einflüsse auf sie auswirken ließ, und die guten Atheisten sind im Grunde „vom Himmel gefallen“, ganz autark, selbständig, haben sich von den religiösen Kontaminationen gereinigt, rein gehalten.
Eine Frage, die sich daran auch anschließt: Gibt es eigentlich Untersuchungen darüber, wieweit auch Nichtglaubende im Christentum Macht hatten – allerdings eben Glauben vortäuschend? Das wird sich vermutlich kaum mehr erhellen lassen. Manchmal sagt man ja, dass Menschen, die sich als besonders gefährdet im Glauben sehen, diese Gefährdung dadurch auszugleichen suchen, dass sie besonders gegen Gegner vorgehen.
Au weia – ist der Mensch kompliziert!
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