(Wenn real existierende Personen das auf sich beziehen wollen, dann auf eigene Gefahr. Es handelt sich um einen kleinen kirchengeschichtlichen Exkurs über uns Menschen.)
Mit der Geschichte vom Kindermord in Bethlehem zeigt Matthäus, dass Jesus schon als Säugling Feinde hatte, erbitterte Feinde. Nicht erst als Erwachsener Feinde, die ihn ans Kreuz schlugen. Die Feindschaft gegen Jesus hörte nicht auf. Die Gegner sind erbittert durch die Jahrhunderte hinweg. Diese Feindschaft, so will uns Matthäus zeigen, gilt im Grunde Gott, der in Jesus Christus handelt. Der Mensch wird von einem herausgefordert, den er nicht greifen kann, den er sich nicht unterwerfen kann ohne selbst widergöttlich zu werden. Die Feinde schrecken – so ist die Erfahrung der Christen seit Beginn der Ausbreitung des Glaubens – vor nichts zurück, selbst nicht davor, Kinder, Wehrlose, Unschuldige zu ermorden.
Diese Feindschaft konnten Christen später (1. Petrusbrief usw.) nicht als eine rein innermenschliche Angelegenheit deuten. Sie übersteigt jegliches Maß an „Normalität“ und Sachlichkeit. Von daher wird sie mit dem Gegenspieler Gottes in Verbindung gebracht. Menschen lassen sich zu Werkzeugen des Widersachers Gottes degradieren – aus welchen Gründen auch immer: Angst vor Machtverlust, intellektuelle Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Angst davor, von der jeweiligen weltanschaulichen und religiösen Clique nicht anerkannt zu werden, um Vorteile zu bekommen – oder auch einfach nur Desinteresse, Ablenkung durch dies und das….
Das nicht nur außerkirchlich, sondern auch innerkirchlich. Was die Kirche an Judas sehen konnte. Von daher spielt Judas eine so große Rolle. Weil das Wirken gegen Gott in der Kirche selbst verbreitet ist, spalteten sich Gruppen ab, die meinten, sie wollen rein bleiben von dem Bösen. Das ist ein gutes Vorhaben und reines Streben. Die Gefahr besteht nur darin, dass man sich dann aufgrund seines Hochmuts und möglicher Lieblosigkeit wieder mit den Fesseln des Bösen bindet.
Unser Menschsein selbst ist eine Versuchung, sich als erbitterter Feind Gottes zu gebärden – auch gut gemeint. Somit sehe ich all die Brutalitäten, die in der Kirchengeschichte von Glaubenden verübt worden sind, nicht allein als Folge des Unglaubens an. Sicher sind manche Untaten entsprechend einzuordnen. Manche aber auch so, dass man aus seiner Zeit heraus meinte, besonders gläubig zu sein, und mit ihnen Gott einen besonderen Gefallen zu tun – dabei tätschelte man damit nur das eigene absurde Gottesbild. Das eigene Gottesbild wurde zum Feind Gottes, weil man meinte, mit seinem Gottesbild Gott greifen und beherrschen zu können – das heißt gleichzeitig auch, der Mensch wird zum Feind der Menschen.
Von daher ist die Bitte immens wichtig: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Alles kann uns zur Versuchung verleiten: Selbst das tiefste Gottesbild und die besten Taten, weil mit ihnen Hochmut und Lieblosigkeit verbunden sein können. Der tiefste Glaube – der wie Paulus sagt – ohne Liebe ist, kann brutal werden. Darum ist die Bitte so notwendig: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse und von dem Bösen.
Das bedeutet, diese Bitte ist ein Akt der Befreiung. Wir können es nicht schaffen, nicht hochmütig und lieblos zu werden, wir können es nicht schaffen, unser Gottesbild mit Gott zu verwechseln und dadurch eben unerträglich zu werden. Gott selbst muss uns zu sich selbst befreien. Darum sind wir auch frei davon, ständig mit Angst durch die Gegend zu laufen, dass wir uns durch dieses oder jenes von Gott entfernen. In der engen Bindung an Gott geschieht Befreiung – und Vergebung.
Noch eine Anmerkung: Manche Gegner Jesu entpuppen sich als Glücksfall für die Kirche, weil sie ihr die Augen öffnen. Durch sie lernen sie, was sie an ihm Wunderbares haben: an Jesus Christus. Die Welt kann herrlich verrückt sein – wenn sie nicht ihre Verrücktheit in Brutalitäten äußert.
Ach so, ja, ich vergaß: Als Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl zu sich nahm, sagte er, einer wird mich verraten. Und alle fragten im ersten Schock: Bin ich es?
Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse und von dem Bösen.
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