Bibel 1

Diese Darlegung geht auf manche Aspekte ein, die in der Diskussion mit Holger Gronwaldt angesprochen wurden.

Ich finde es sehr interessant, dass so mancher Zeitgenosse Einheit in der Bibel sucht: Die eine Stimme der Bibel, die eine Stimme der Christen.

Was mich schon immer faszinierte war, dass die frühe Gemeinde vier Evangelien in dem Kanon zusammengefasst hat. Matthäus liegt intensiver am Gesetz, daran, dass ein Leben, das nicht nach Gottes Willen ausgerichtet ist, bedroht ist von Gottesferne. Gemeindeordnung ist auch sein Thema, Bergpredigt – die praktizierende Liebe aus dieser Perspektive. Lukas hingegen legt mehr Wert auf die Zuwendung Jesu zu den Menschen. Liebe Gottes, Vergebung durch Gott – das sind seine Themen. Matthäus ist Judenchrist, Lukas ist Heidenchrist. Mit Markus hat das Evangelium begonnen: Er ist Bewunderer Jesu und beschreibt seinen Weg in Israel – beschreibt das, was er von Menschen, die Jesus noch kannten, erfahren hat. Der rote Faden seines Evangeliums: Jesus Christus hatte großen Erfolg – starb dann jedoch durch Verrat, verlassen von Freunden und Schülern, selbst von Gott. Das Johannesevangelium sieht den gesamten Lebensweg Jesu aus der Perspektive der Auferstehung, eingebettet in philosophischer Sprache. Jesus, der Logos Gottes wurde Mensch, der Logos, die Wahrheit setzt den Weg auf der Erde fort, bis es seine Aufgabe vollendet (es ist vollbracht) hat. (Eine Anmerkung: Nicht erst Markus hat ca. 30-40 Jahre nach Jesu Geburt begonnen, Worte aufzuschreiben. Er selbst greift auf Quellen zurück, so die Passionsgeschichte und andere, Matthäus und Lukas greifen neben dem Markusevangelium noch die so genannte Logienquelle auf, die schon sehr früh begonnen hat, Worte Jesu zu sammeln, wir haben Paulus…)

Ich könnte noch mehr schreiben – aber darum geht es mir: Die frühe Gemeinde hat unterschiedliche Evangelien aufgenommen. Warum? Warum hat sie nicht nur ein Evangelium als Maßstab (Kanon), warum hat sie nicht alle irgendwie zu einem zusammengefasst? Der Prozess der Kanonisierung war im Wesentlichen demokratisch. Man nahm das auf, was (unter anderem) viel gelesen wurde. Und das zeigt, dass die christliche Gemeinde von Anfang an vielfältig war. Man denke nur an die Auseinandersetzung zwischen Paulus, Petrus, Jakobus – und dann auch Johannes. Die Vielfalt prägt die Gemeinde. Und dann kam die Einfalt: Man versuchte eine Monokultur zu errichten, zu.

Wie ist das theologisch zu verstehen? Aus meiner Perspektive: Gottes Geist ist ein Geist. Gott widerspricht sich nicht. Ausgangspunkt a). Dann: Ausgangspunkt b): Gott gibt dem Menschen Freiheit. Und nun trifft der eine Gott auf vielfältige freie Menschen. Die Folge ist: Er wird nicht überall gleich erkannt und vertreten. Gott scheut sich also nicht, in Vielfalt laut zu werden – und dadurch spricht er auch vielfältige Menschen an. Entsprechend gibt es auch in der Kirchengeschichte unter den Heiligen sehr sonderbare Heilige – und noch sonderbarerer Heiligsprecher. Von daher liegt es in guter reformatorischer Tradition, wenn man auch die Großen der Vergangenheit nicht alle Ideen bewundert und über einen Kamm schert, sondern eben erkennt: Es waren Menschen. Aber eben: Manche von ihnen waren großartige Menschen, die uns heute noch viel zu sagen haben.

Die Frage bleibt: Wo ist die Einheit? Denn der Heilige Geist, der Geist Gottes ist ja einer und strebt auch unter den Menschen nach Einheit. Einheit in der Nachfolge Jesu, Einheit also in der Kirche. Von daher gibt es zwar vier unterschiedliche Evangelien – aber die frühe Gemeinde hat auch Evangelien ausgeschlossen. Warum? Weil sie aus ihrer Perspektive nicht mehr in den Rahmen passte. Und ich sehe hierin eben auch das Wirken des Geistes: Er gibt einen Rahmen und diesen haben Menschen dann verantwortungsvoll auszufüllen.

Und so gibt es auch aus meiner Perspektive unterschiedliche Grade des Christseins. Manche meinen, Christen zu sein, ohne den Rahmen (zum Beispiel die vier Evangelien) beachten zu müssen, ohne den Geist Gottes, andere Stimmen der Gemeinde beachten zu müssen. Sie legen selbst ihren Rahmen fest – auch wenn er außerhalb des christlichen Rahmens steht. Man denke an die Deutschen Christen, die einfach Teile der Bibel strich, weil sie meinten, ihre Weltanschauung biete einen sichereren Rahmen als der christliche Glaube und seine Tradition. Entsprechend kam es zu furchtbaren Auswüchsen. Aber das war nicht nur unter dem Nationalsozialismus so. Man denke an das Apartheitssystem, an die Christen, die sich dem Maoismus, dem Leninismus/Stalinismus angepasst haben, an den Kolonialismus, an die Christen, die sich im Mittelalter nicht um den Maßstab scherten, denen es dann nur um Macht ging. Und auch heute gibt es viel Übel – man denke an den Kapitalismus in seiner unmenschlichen Form… Und auch heute kommt es vielen gar nicht mehr darauf an, ob ihr Glaube mit Hilfe der Bibel in den Rahmen passt, den z.B. die Evangelien vorgeben.

Es gibt also Einheit – und Vielfalt. Wie kann die Einheit gewahrt werden, damit der christliche Glaube nicht noch stärker in unzählige Klitzekleine Einheiten zerfällt? Die frühe Christenheit hat neben dem Kanon die Hierarchie gestellt. Aus meiner Perspektive müssen wir beachten:

  • Was sagt Gottes Geist im NT?
  • Was sagten Gottes Geist durch diejenigen, die aus christlichem Geist ihr Leben lebten – in der Vergangenheit (Kirchenväter – aber auch andere, deren Stimmen wir noch vernehmen)
  • Was sagt Gottes Geist durch Menschen in der gegenwärtigen Gemeinde – in der Gegenwart
  • Was sagt Gottes Geist durch Menschen in der gegenwärtigen weltweiten Gemeinde (gegen Eurozentrismus und für Inkulturation Jesu Christi).
  • Und das alles im Gebet – dem Reden zu Gott verknüpft, dem Schweigen vor Gott, dem Achten auf seine Reaktion im Alltag durch Gedanken, andere Menschen, Erlebnisse…

Jeder dieser einzelnen Teile ist aber Vielfalt. Wie kann daraus dennoch eine relative Einheit werden?

Diese ist nicht durch Knopfdruck zu erreichen. Sie ist durch ernsthaftes Eindringen in die Welt zu erreichen, die Gott uns bietet – die ich oben dargestellt habe. Und so erkennt man dann, dass es einen festen Kern gibt. Aufgrund dieses Kernes können Christen dann einander erkennen und anerkennen, obgleich sie am Rande unterschiedliche Ansichten und Meinungen haben, und sie auch heftig miteinander aushändeln.

Hierbei sind auch die letzten Worte Jesu am Kreuz so interessant: Historisch fragt man: Was hat Jesus denn nun wirklich gesagt? Man kann sich darüber als Historiker den Kopf zerbrechen. Was fand vor 2000 Jahren statt, was war wirklich? Hat Jesus alle gesagt? Nur eines? Gar keins dieser Worte? Das ist aber nur die Weltanschauung dessen, der Geschichte betont. Jesus wird zu eine historischen Figur, wie Caesar, Sokrates…

Die Weltanschauung dessen, der mit Gottes Welt rechnet, fragt anders: Warum hat der Geist Gottes die Vielfalt der Überlieferung betont? Entsprechend haben unzählige Menschen aus den vielfältigen Worten Trost, Lebenshilfe bekommen. Die Frage nach der historischen Wahrheit ist nur die eine Seite der Medaille, die vielleicht in der Gegenwart Mitteleuropas und der USA eine gewisse Relevanz hat. (Denn: Wer sagt, dass die Suche nach den Unterschieden wirklich relevanter ist als die Suche nach den Gemeinsamkeiten?) Aber der Glaube hat ganz andere Interessen: Den Geist Gottes – den Geist des auferstandenen und aktiven Jesus Christus – in allem zu erkennen. (Ich möchte nur auf die Gleichzeitigkeit hinweisen, die Kierkegaard zu durchdringen versucht hat. https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichzeitigkeit_(Philosophie) Sie geht jedoch nicht nur von uns Menschen aus mit Blick auf die Vergangenheit, sondern auch Gott ist ein aktiver Part dabei.)

https://www.wolfgangfenske.de/impressum-datenschutz.html und www.blumenwieserich.tumblr.com

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