Ein interessanter Artikel von der Muslima Sineb El Masrar zu den Minderwertigkeitskomplexen von Muslimen: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article132542401/Die-Opferrolle-der-Muslime-in-Deutschland-nervt.html Es geht nicht um die Frage, ob Muslime sich durch ihren Glauben überlegen fühlen oder nicht, sondern dass sie sich nicht genügend gegen die Islamisten einsetzen, dass sie sich in der Opferrolle sehen, statt aktiv zu werden, dass sie klagen, nicht genug Geld zu haben, aber die Islamisten in Geld zu schwimmen scheinen, dass Konvertiten kommen mögen, aber nicht diejenigen, die von Freiheit und Eigenständigkeit überfordert sind und durch ihre Konversion den Islam als rückständige Religion erscheinen lassen.
Mit Sineb El Masrar würde ich mich gerne einmal unterhalten – über die Grundlagen des Islam wie sie sie sieht.
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Tariq Ramadan sieht Fehler nicht nur bei der ISIS, sondern auch bei anderen Imamen, die sich zum Sprachrohr von Diktatoren machen: http://www.aljazeera.com/programmes/talktojazeera/2014/10/tariq-ramadan-isil-not-islamic-2014101015462542487.html Ich finde dieses Interview mit Tariq Ramadan sehr interessant: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43103178.html – allerdings ist es von 2005.
Hier wird ein Interview zum Thema Koran-Hermeneutik geführt, in dem gesagt wird, man solle nicht den Wortlaut des Koran-Rechts beachten, sondern die Absichten: http://de.qantara.de/content/islamisches-recht-und-ethik-wir-fordern-eine-erneuerung-der-koran-interpretation Für die Rechtsfindung, so hören wird dort, darf man sich nicht allein auf die Schriften stützen, sondern muss die Lebenswirklichkeit einbeziehen. Und das ist alles spannend, weil dem wörtlich interpretierten Koran nicht zugetraut wird, in der Moderne anzukommen. Den Koran wörtlich interpretieren, hilft nicht weiter, man muss – auch in Fragen des Zusammenlebens der Geschlechter, den Grundzug erkennen: Barmherzigkeit und Liebe – und von da aus die Lebenswirklichkeit der Menschen in den Blick bekommen – also nicht mit dem Wortlaut aus dem Koran. Das gehe nicht.
Wenn man das alles liest, dann staunt man, weil die Koran-Kritik der Nichtmuslime in Europa als islamophob bezeichnet werden würde, würde sie das sagen. Kurz:
Der Koran und Ahadith helfen nicht – sie helfen nur, wenn man ihren eigentlichen Kern herausarbeitet. Der eigentliche Kern ist aus der jeweiligen Lebenszeit zu verstehen. Das heißt: Im Koran und Ahadith sind keine grundsätzlichen Lebensregeln relevant, sie helfen weder einen modernen Staat zu kreieren, noch das Recht zu reformieren, noch das Zusammenleben der Muslime mit Nichtmuslimen bzw. der Menschen untereinander zu regeln. Das geht erst, wenn man einen Kern herausgearbeitet hat, die wahre Absicht des Koran/der Ahadith.
Ein am Koran und an den Ahadith hängender frommer Muslim mag dann fragen: Und was ist der Maßstab, um dieses als Kern herauszuarbeiten und nicht als Kern: Allah will, dass man seine Herrschaft auf Erden wie es im Koran und in den Ahadith geschrieben ist, durchsetzt? Kann die moderne Lebenswirklichkeit Maßstab sein?
Dem Zusammenleben der Menschen würde diese Hermeneutik sicher sehr hilfreich sein. Von daher ist sie zu unterstützen, aber wohl wissend, dass sie wohl kaum eine Chance hat, sich in absehbarer Zeit durchzusetzen.
Christen haben in ihrer Theologie die Pneumatologie. Das heißt: Der Geist Gottes leitet die Gemeinde – und hilft auch in der Interpretation der Heiligen Schriften – von daher können sie, auch vom Neuen Testament her gesehen, nie Gesetz im muslimischen Sinn sein. Muslime haben dieses Hilfsmittel nicht. Sie haben den Koran – und der ist wörtlich zu interpretieren, wenn auch die wörtliche Interpretation faktisch immer zeitgebunden ist. Wir können nicht aus unserer Haut fahren.
Wenn den Koran-Reformern das gelingen würde, vielen zu verdeutlichen, dass Interpretation immer eine Zeiterscheinung ist, dass der Koran nie fertig interpretiert ist, dass es Fortschritte gibt in der Erkenntnis der Bedeutung der Worte Allahs, die durch Mohammed niedergeschrieben wurden, dann wäre man wirklich ein Stück weiter. Aber das werden die Ahadith verhindern, denn sie zurren ein enges Netz um den Koran. Und so muss in einem weiteren Schritt eine neue Hadith-Interpretation Fuß fassen. Zudem: Die neue Koran-Interpretation darf sich nicht zu weit von dem wörtlichen Verstehen entfernen, denn da kommen dann viele Muslime wohl kaum mehr mit.
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Man kann natürlich fragen: Was soll eine solche Diskussion, während gleichzeitig überall in islamischen Ländern auf Minderheiten furchtbarer Druck herrscht. Wir leben nicht nur in der Gegenwart, sondern wir gehen davon aus, dass wir in unserer Gegenwart die Weichen für die Zukunft stellen können. Und die Probleme der Gegenwart lassen sich nicht mit einem Handstreich lösen, sie müssen Schritt für Schritt gelöst werden, damit die kommenden Generationen bessere Bedingungen haben. In dieser Hinsicht kann man fragen: Aber gibt es dann noch christliche Gemeinden in islamischen Ländern? Abgesehen davon, dass man eben wirklich nicht auf einen Schlag die Bedingungen in der Gegenwart verändern kann, ist die Antwort: Ja, denn Gott, den Jesus Vater nennt, ist Herr der Gemeinde und er wird sie auch wieder in islamischen Ländern etablieren. Zudem: Man sollte es nicht meinen: In ihnen gibt es überall Christen auch wenn manche es hier nicht wahrnehmen können. Und gerade die Verfolgung durch äußerst fromme Muslime (nicht Islamisten) öffnet manchen Muslim die Augen für die Bedeutung des christlichen Glaubens. An uns liegt es, die Versuche mancher Muslime, einen neuen Weg in der Koran-Hermeneutik zu finden, zu unterstützen. Auch wenn man an einem Gelingen zweifelt.
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