Wie begegnete man höhergestellten Personen? Indem man sich vor ihnen auf den Boden wirft. So war das zumindest ganz früher – man nennt das Proskynese, was Muslime in einer bestimmten Art noch praktizieren. Viele Christen falten heute die Hände, nicht nur, damit sie nicht herum zappeln beim Beten und die Konzentration gestört wird, sondern: Mit angedeutet gefesselten Händen und gesenktem bzw. geschlossenem Blick begegnen Menschen Gott. Andere legen die Handflächen ineinander, halten die Hände vor das Herz, denn Hände und Herz sammeln sich vor Gott – und man legt sich, wie damals die Ritter dem Höhergestellten, in die Hände. Früher hat man zum Beten auch gekniet – heute machen es nicht mehr sehr viele, aber es ist schon etwas Besonderes, wenn man kniend betet. Die frühen Christen haben wahrscheinlich stehend gebetet – den Blick zur Sonne gewendet, die Hände mit den Handflächen nach oben – den Segen Gottes empfangend. Auch diese Haltung finden wir gegenwärtig bei vielen Christen.
Gebetshaltungen haben eine Bedeutung – und sie sind inzwischen in der Christenheit sehr vielfältig, weil sie nicht nur Ausdruck der jeweiligen Konfession, sondern auch des jeweiligen glaubenden Menschen sind. Manchen Christen erkennt man gar nicht an, dass sie beten, weil sie gerade in dem Augenbick beten, in dem sie irgendwas Alltägliches verrichten.
Unsere Gebetshaltungen drücken aus, dass wir mit Gott, dem Schöpfer, dem Erhalter – unserem Vater durch Jesus Christus – reden oder auch nur ganz bewusst vor und in ihm sind, von ihm unser Leben empfangen.
Jeder kann einmal die unterschiedlichen Gebetshaltungen ausprobieren und in sich hineinhorchen: Welche finde ich im Augenblick besonders hilfreich? Stärkend? In Gottes Nähe führend? Welche hilft mir in besonderen Situationen, mich intensiv auf Gott einzulassen, auf ihn zu hören, mit ihm zu sprechen?
Das Kreuzzeichen, das auch ein Teil des Gebetes sein kann, bei dem man Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist nennt – könnten wir Evangelischen auch wieder stärker in den Blick rücken. Luther hat es noch praktiziert – irgendwann ist es einfach verloren gegangen. Es macht uns bewusst, wem wir gehören, an wen wir glauben.
Luthers Morgensegen
Des Morgens, wenn du aufstehst, kannst
du dich segnen mit dem Zeichen
des heiligen Kreuzes und sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen
Darauf kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser.
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, daß du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, daß dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.
Als dann mit Freuden an dein Werk gegangen
und etwa ein Lied gesungen
oder was dir deine Andacht eingibt.
Impressum auf www.wolfgangfenske.de