Unehrlichkeit – Ehrlichkeit

Mir wurde vorgeworfen, nicht ehrlich zu sein. Es geht um die Geburtsgeschichten Jesu. Der Vorwerfende hat einen anderen hermeneutischen Schlüssel als ich. Er meint, man müsse die Geburtsgeschichten auf der Ebene des Historischen interpretieren, von daher stimme alles nicht. Aber: Ich habe einen anderen hermeneutischen Schlüssel. Mein Schlüssel, die Texte aufzuschließen, „schaut“ nicht auf irgendwelche historischen Möglichkeiten (gab es den Stern, den Kindermord, die Jungfrauengeburt, die Flucht nach Ägypten, die Hirten auf dem Feld usw…?). Ich schaue auf die Texte, auf das, was Matthäus und Lukas uns zu sagen haben. Sie haben uns eine ganze Menge zu sagen. Und das wissen, spüren Menschen durch die Jahrtausende hindurch weltweit.

Doch warum betteten Matthäus und Lukas das historisch ein? Weil aus jüdischer Sicht Gott in dieser Welt handelt. Gott ist kein ahistorischer Mythos. Dass er in dieser Welt real handelte, sah man an Jesus Christus. Dieses Handeln des ganz besonderen Menschen wurde mit Blick auf die Geburt zurückverfolgt. Wer jetzt auferstanden war, von Gott auferweckt worden ist, dessen Geburt bzw. die Zusammenhänge mit seiner Geburt waren auch ganz besonders – und das sah man ja auch an den umlaufenden Geschichten. Gottes Sohn geht wunderbar aus der Welt hinaus – indem er als der Auferstandene erfahren wurde – so kam er auch ganz wunderbar zur Welt. Dieses Wunderbare bekommt seine Ausdrucksform im Matthäusevangelium aus der Perspektive des Josef und im Lukasevangelium aus der Perspektive der Maria. Josef war beeindruckt von den Weisen, Maria war beeindruckt von den Hirten. Josef war beeindruckt, weil er als Empfänger einer Traumbotschaft den kleinen Messias Jeschua rettete, Maria war beeindruckt, weil der Engel mit ihr sprach, und sie sich auf dieses wunderbare Ereignis der Geburt des Gottes Sohnes eingelassen hatte. Auf diesen Weg kommen wir dann sekundär auf eine andere historische Ebene: Die Texte hatten eine große Wirkungsgeschichte. Sie haben historisch gewirkt, indem sie Menschen durch alle Zeiten und weltweit Mut machten, sie stärkten, neue Perspektiven schenkten.

Eine andere Voraussetzung, die ich mache – mit Blick auf meinen hermeneutischen Schlüssel: Der Gott, der damals durch seinen Geist wirkte, wirkte in Matthäus und Lukas, wie er auch heute wirkt in den Glaubenden. Auf dieser Ebene des Wirkens des Geistes Gottes sind die Texte zu verstehen: Gott greift in diese Welt ein: Ihr Glaubende, Ihr seid nicht allein.

Was jetzt auf der primären historischen Ebene zutreffend ist, was nicht, das kann die Forschung diskutieren. Das kann die Forschung aus dem jeweiligen Zeitzusammenhang (den der damaligen Zeit, dem Wissen der Gegenwart) herauszufinden versuchen. Gab es Anhaltspunkte für diese Texte, wer könnte sie – oder wer könnte einzelne Aspekte – überliefert haben? Was wissen wir noch von Maria? Woran erinnerte sie sich? Wie finden Erinnerungen statt – psychisch gesehen. Was wusste Jakobus, warum spielt Augustus noch eine Rolle, warum Herodes, obgleich sie ja schon lange tot waren? Die Verwobenheit mit der „Biographie“ des Täufers Johannes – was spielt das für eine Rolle? Warum haben wir zwei so unterschiedliche Versionen, die schon recht alt sind – aber einander nicht beeinflusst haben? Warum ist der Kern gleich (Jungfrauengeburt)?

All das muss auf der Ebene der Forschung argumentativ und selbstreflektiert – wie es sich für Wissenschaft gehört – dargelegt werden. Aber dazu gehört auch die Anerkenntnis, dass es unterschiedliche hermeneutische Schlüssel gibt. Meiner liegt auf der Text-Ebene. Diese kann allerdings ohne das Erforschte nicht existieren. Denn auch dieser Schlüssel ist Ergebnis der Forschung (z.B. Redaktionskritik, Linguistische Methodenschritte…).

Wenn man mir nun Unehrlichkeit vorwirft, weil ich den einen hermeneutischen Schlüssel, den Historischen, nicht als den wichtigsten aller Schlüssel ansehe, mag man es tun. Das zeigt allerdings Fixierung auf einen einzigen Zugang.

Dann ist selbstreflektierend zu fragen: Warum bevorzuge ich diesen Schlüssel? Aus Glauben heraus. Nur aus Glauben heraus? Nein, denn der pure „Historizismus“ gepaart mit einer engen Weltanschauung war einmal. Forschung ist schon weiter, der pure „Historizismus“ ist nur ein Teil der Forschung, nur eine der vielfältigen Zugangsweisen zu Texten. Warum bevorzugt dieser andere den historisch engen Schlüssel? Aus seinem Weltbild des Unglaubens heraus – um die Unbedeutendheit und auch das Lügnerische des christlichen Glaubens herauszuheben. Aber dagegen spricht aus meiner Sicht die Relevanz, die diese Texte in Zeiten und Völkern bekommen haben. Die liegt eben auf der aufgezeigten Ebene, die erkennt, dass Texte aus unterschiedlichen Perspektiven ausgelegt werden können und darum auch müssen.

Wie schreibt Jörg Zink (Dornen können Rosen tragen. Mystik: Die Zukunft des Christentums, 1997:

„Wir werden weitergehen von der alten rationalen Auslegung der Bibel und selbst mit allen Sinnen wahrnehmen, was sie sagt. Wir werden weitergehen von allem vorgeschriebenen religiösen Verhalten zur Freiheit eines persönlich verantworteten Stils. Wir werden weitergehen von aller überlieferten Sprache und Redeweise zu einer Rede von Gott, die ausdrückt, was wir selbst erfasst haben, oder besser, von wem wir erfasst worden sind. Wir werden den Geist Gottes, der in uns selbst am Werk ist, wiederfinden und auch das, was das Evangelium den Christus in uns oder den Gott in uns nennt.“

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