Historisch-kritisch – Bibel und Koran

Die Bibel wurde schon sehr früh auch historisch gelesen. Der so genannte vierfache Schriftsinn beinhaltet:

Literalsinn (= wörtlich, historisch), typologisch (= den Glauben fördernde Auslegung; theologische Relevanz); tropologisch (= die Liebe fördernde Auslegung; ethische Relevanz); anagogisch (= die Hoffnung fördernde Auslegung; eschatologische Relevanz: ewiges Leben…).

Dann kam unsere säkulare Moderne und es zählt nur noch die historische Auslegung – aber eben im säkularen Sinn.

Auch die Exegese des Koran kennt eine Art historischen Arbeitens, so die Unterteilung in drei Perioden mekkanischer und in eine Periode medinischer Suren. Hieraus leiten liberale Muslime auch eine gewisse Hierarchisierung der Auslegung und auch eine kulturelle wie zeitliche Anpassung des islamischen Glaubens ab, während nichtliberale Muslime das ablehnen und alle gleich interpretieren, vor allem auch aus der Perspektive der Suren aus Medina. Anders stellt sich die Lage mit Blick auf die Hadithe dar: schwache (also solche, die nicht ganz so relevant sind) und gesunde (die relevant sind). Hier ist eine Art historischer Arbeit massiver zu erkennen als mit Blick auf den Koran.

Die säkulare Exegese arbeitet anders. Wir kennen aus der Erforschung Jesu die Unterscheidung: irdischer Jesus (= der Jesus, der als Mensch lebte, seine Vorlieben, Eigenarten usw. – die allerdings kaum mehr zu erkennen sind), den Jesus des Glaubens (= der Jesus, von dem Glaubende sprechen, den Wundern, der Auferstehung, Jesus als Christus, als Sohn Gottes), den biblischen Jesus (= der Jesus, der den irdischen Jesus aus der Perspektive des Glaubens wiedergibt) und den historischen Jesus (= der Jesus, der als Mensch historisch erarbeitet werden kann – durch die verschiedenen Glaubensschichten hindurch).

Diese Art des Umgangs mit Mohammed und dem Koran wird soweit ich sehe im Islam noch nicht besonders vorangetrieben. Säkulare Auslegung würde bedeuten, dass nicht Allah dem Mohammed den Koran durch den Engel Gabriel diktiert hat, sondern weitgehend hat der Mensch Mohammed (wenn es ihn denn gab) sich die Texte, die im Koran zu finden sind, ausgedacht, spätere haben sie gesammelt und redaktionell bearbeitet – denn Allah ist säkular-historisch nicht zugänglich und der Engel auch nicht, dafür aber die aktiven Menschen.

Die christliche Geburtsgeschichte des Lukas: Der Engel Gabriel wurde zur Jungfrau  Maria gesandt, demütig nahm sie Gottes Willen an und empfing und gebar den Sohn Gottes, Jesus. Entsprechend die Überlieferungen über Mohammed ca. 600 Jahre später: Der Engel Gabriel wurde zum besten aller Menschen Mohammed gesandt, demütig nahm er Allahs Willen auf und empfing und schrieb den Koran.

Säkular haben diese Aussagen keinen Anhaltspunkt, da weder Allah/Gott ein historischer Akteur ist, noch gibt es Engel, also muss man andere Interpretations-Zugänge finden. Säkulare Wahrheit beschränkt sich auf einen kleinen Rahmen, wie Wissenschaft überhaupt Rahmen schafft, in denen sie ihre jeweiligen Aspekte untersuchen kann. Das ist auch die Aufgabe säkular-historischer Wissenschaft. Die allerdings dann nicht mehr nur erklären will, sondern ins Extreme weiter geführt darlegen will, dass die gesamte Glaubensbasis irrelevant ist: Jesus wie Mohammed hätten gar nicht gelebt – oder wenn sie gelebt haben, waren sie ganz andere Typen als die Schriften sie wiedergeben. Ungeachtet der ideologischen Komponente ist das, was Historiker herausarbeiten, spannend und mit Interesse zu verfolgen, weil es den Glauben aufgrund neuer Perspektiven zu vertiefen vermag. Spannend bleibt allerdings vor allem für den Islam: Welche Folgen kann säkular-historisches Arbeiten haben? Für den Islam darum, weil säkular-historische Arbeit mit Blick auf Mohammed noch neu ist, während historisches Arbeiten an Jesus schon eine ganze Weile lang läuft und auch intensiv diskutiert wird.

Aus Glauben heraus ist das alles natürlich zu wenig, weil der säkular gesetzte Rahmen zu klein ist, der Fülle Gottes nicht einmal annähernd gerecht wird. Aber damit muss man als Glaubender leben, auch wenn man sieht, dass die säkularen Akteure genauso parteiisch sein können wie die Glaubenden – nur eben von der säkularen Seite her.

Zu sagen, man fühle sich verletzt, sei beleidigt worden, oder massiv religiöser formuliert: das sei Gotteslästerung, hat in unserer säkularen Welt überhaupt keine Relevanz. Druck ausüben wollen (emotional oder durch Drohungen, durch Einschränkung von Meinungsfreiheit, …) auf säkulare Ansätze ist kontraproduktiv. Interessanterweise scheint das aber so manche Medien und Individuen zu beeindrucken, wenn so etwas von islamischer Seite kommt. Von christlicher Seite zum Glück nicht mehr – zumindest nicht in unserem Land (ist mir zumindest nicht bekannt).

Glaubende haben andere Erfahrungen gemacht, von daher ist Druck der Säkularen auf sie genauso irrelevant wie umgekehrt: Ihr Spott, Versuche, Glaubende sozial auszugrenzen, Anzweifeln ihres Verstandes, ihre Zuordnung zu Relidioten usw. usw. Glaubende haben andere Erfahrungen gemacht – und eben erst als Glaubende, die ihr Leben aus dem Glauben leben, sind sie auch säkular-historisch greifbar. Ihr umfassender Glaube ist nicht historisch greifbar – aber ihre Lebensgestaltung. Als solche muss dann der Glaube auch historisch wirksam werden: in bekennendem Wort und in der Glaubenstat.

Das sollte allen Glaubenden wieder bewusst werden: Unser Verhalten ist relevanter, als sich manche so denken.

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