In der Zeitschrift „mut – Forum für Kultur, Politik und Geschichte“ (Nr. 449, 2005) fand ich einen Beitrag von Alexander Saechtig über China, darin vor allem über den Schriftsteller Ba Jin. Es geht um Narbenliteratur, Literatur, die Narben verarbeitet, die die Kulturrevolution verursacht hat:
> Laßt auf keinen Fall noch eine Kulturrevolution“ über unser Land hereinbrechen, denn eine zweite Katastrophe wäre der absolute Untergang unserer Nation. Mir geht es hier nicht im geringsten darum, die Leute mit Schauergeschichten in Angst und Schrecken zu versetzen, doch immer noch erscheinen die vergangenen Ereignisse vor zwanzig Jahren vor meinen Augen. Diese unendlich lange, elende, unvergeßliche Zeit, die unmenschlichen Beleidigungen und Peinigungen jeglicher Art an meinen Landsleuten, dieses Riesenchaos, in dem man Recht in Unrecht verkehrte, aus Weiß schwarz und aus Schwarz weiß machte, zwischen Loyalität und Verrat nicht trennte und Wahrheit und Falschheit kaum voneinander zu unterscheiden waren, und dann noch die nicht enden wollenden Justizirrtümer, das ganze nicht wieder gut zu machende Unrecht! Wie sollten wir dies alles völlig aus dem Gedächtnis streichen, die Menschen nicht mehr darüber sprechen lassen, so daß zwanzig Jahre später nochmals eine Kulturrevolution“ entfacht wird, mittels derer neuer Streit entsteht, der große Unruhe über die chinesische Nation bringt?! Manch einer sagt: Es soll noch einmal passieren? Unmöglich!“ Darauf möchte ich eine Frage stellen: Warum ist es unmöglich?“ In den letzten Jahren habe ich wiederholt über diese Frage nachgedacht und gehofft, eine klare Antwort darauf zu finden: Möglich oder unmöglich? Erst mit einer Antwort brauchte ich mich nachts nicht mehr vor schrecklichen Träumen zu fürchten. Aber wer kann mir garantieren, daß die Katastrophe, die vor zwanzig Jahren über uns hereinbrach, sich unmöglich noch einmal ereignet? <
Auch in anderen Kulturen denkt man über gesellschaftspolitische Katastrophen nach. Das ist nicht neu – aber es zu beachten, ist das auch nicht neu? Wir Kreisen doch zu sehr um uns selbst.