Erinnerung und Geschichte

Die Bibel „erinnert“ sich an geschichtliche Ereignisse.

Was jedoch bedeutet es, wenn man von Erinnerung spricht?

Ein Mensch erinnert sich im Kontext einer Gemeinschaft, nimmt die Sichtweisen der Gemeinschaft auf, formuliert aus dieser Sicht die Vergangenheit, mischt sie mit dem, was er aus der Vergangenheit weiß. Erinnerung bedeutet immer auch Aktualisierung der Vergangenheit für eine Gemeinschaft. Eine nicht aktualisierte Erinnerung hat in einer Gemeinschaft keine Chance – sie wird vergessen oder nur noch für Historiker relevant.

Wir haben in der Bibel ein kollektives Erinnern, ein erinnern, das immer wieder neu der jeweiligen Zeit, der Gemeinschaft, den Situationen angepasst wird. Erinnerung wird aktualisiert, damit sie die Gemeinschaft konstituiert. Das ist keine Fälschung und Verfälschung, denn diese Mischung von Erinnertem mit der Gegenwart, individuelles Erlebte und Gelesene in die Sprache der neuen Zeit gebracht, das ist ein natürlicher Vorgang, der im Hirn automatisch vor sich geht.

Und so geschieht in der Aktualisierung der Erinnerung etwas Wertvolles: Die Gemeinschaft wird stabilisiert, sie hat etwas, an dem sie sich orientiert. Ob es nun vor vielen, vielen Jahren genauso ereignet hat, ist irrelevant.

Diese Erinnerungen können wir heute historisch in vielen Bereichen intensiver untersuchen. Ist dem so wirklich gewesen? Wo setzt die Erinnerung Akzente, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können usw. Wissenschaft ist in meiner Perspektive auch damit verbunden: Sympathie mit dem erforschten Gegenstand haben. Das heißt konkret: Wenn man das eine oder andere nicht nachvollziehen kann, dann bedeutet es vielleicht nur, dass wir  noch nicht die Möglichkeit haben, die Vergangenheit besser zu erkennen. Viele stolze Thesen sind schon der Vergessenheit anheim gefallen, weil man später mit sensibleren Methoden doch der Erinnerung Recht geben musste. Alles Forschen muss immer unter Vorbehalt künftiger vertiefter Erkenntnisse stattfinden. Arroganz deklassiert den Forscher.

Die Frage, die sich heute stellt ist die: Wenn man die kollektive Erinnerung zerschlägt, zerschlägt man nicht gleichzeitig die Gemeinschaft? Man fühlt sich so toll, fortschrittlich – man stellt alles in Frage, und wenn man es nicht wirklich kann, dann stellt man es in Frage durch Vermutungen. Und das erkennen wir an unserer Gesellschaft: Umgang mit Erinnerung ist eine, die zerschlagen werden muss. Nichts ist sicher, alles individuell, subjektiv, alles falsch, alles in Frage zu stellen. Es entsteht eine Trümmerhaufen-Gesellschaft, weil die Erinnerung zertrümmert wird.

Ist dem so? Ich vermute, dass die Erinnerungen zerschlagen werden, damit die Zerschläger aus den Steinen ihre neuen Gebäude aufbauen können. Damit sie die Leere, die sie herstellen, mit ihren eigenen Ideologien füllen können.

Und darum ist die Bibel im Blickfeld: Man muss alles in Frage stellen. Nicht, im positiven wissenschaftlichen Sinn, sondern man verneint auch das, was sicher ist, einfach, weil sie keine Bedeutung mehr haben soll. Das betrifft den Umgang mit Kirche bzw. Christen: Man stellt alles negativ dar – auch wenn es, was die Vergangenheit betrifft, wissenschaftlich nicht haltbar ist, und was die Gegenwart betrifft, von Ignoranz zeugt – einfach, weil man sie kleinmachen möchte. Warum möchte man das? Man fürchtet die Religion als Konkurrenz. Darum ist Jesus im Blickfeld: Von ihm, so heißt es lapidar, weiß man nichts – also taugt es nichts, was über ihn gesagt wird, so heißt es wider aller Richtigkeit. Zudem wird alles Erinnerte mit dem Vorwurf der Lüge übergossen. (Auch wenn man über den Menschen Jesus so gut wie nichts wissen sollte – was nicht stimmt – so stellt sich doch die Frage: Ist das der einzige Maßstab, die Verkündigung abzulehnen? Denn es gibt ja auch noch andere Kriterien als „historisch bewiesen“. Genauso gut könnte man einfach irgendwelche anderen Kriterien aufstellen: Wir haben von Jesus kein Haar mehr – also ist alles nicht sicher…)

Es gibt immer Deutungskonkurrenzen. Das ist klar. Die Frage ist allerdings: Wie gehen diejenigen, die erinnerte Vergangenheit anders deuten, miteinander um? Wie geht man mit den Voraussetzungen anderer um? Wie mit den eigenen? Ist man tolerant? Setzt man sich auseinander – auch heftig – aber unter dem Vorzeichen der Empathie, der Gemeinschaft oder dem der Konfrontation, der verbalen Degradierung?

https://www.wolfgangfenske.de/impressum-datenschutz.html und www.blumenwieserich.tumblr.com Der Blog wird in den nächsten Wochen nur sehr unregelmäßig bestückt werden können.

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